Da die Weltbevölkerung bis 2050 voraussichtlich auf etwa 10 Milliarden anwachsen wird,1 werden wir mehr Lebensmittel benötigen. Doch es reicht nicht, mehr Landwirtschaft zu betreiben, denn es gibt einfach nicht genug Flächen. Könnten neuartige Lebensmitteltechnologien eine alternative Lebensmittelquelle bieten und gleichzeitig die Nachhaltigkeit der globalen Lebensmittelproduktion bei den Themen Klimabelastung, Ressourcen- und Landnutzung und Kohlenstoffbilanz insgesamt verbessern?
Von den vielen Herausforderungen, vor denen die globalen Lebensmittelsysteme aktuell stehen, gehört die rasant wachsende Bevölkerung zu den drängendsten. Es wird erwartet, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf etwa 10 Milliarden Menschen anwachsen wird – eine Steigerung von über 25 % gegenüber dem Jahr 2020.1 Doch bereits heute sind Lebensmittelsysteme für mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen verantwortlich.2 Außerdem sind sie von einer ressourcenintensiven Industrie und Landwirtschaft abhängig. Daher ist es nicht nachhaltig, weiterhin Ressourcen im bisherigen Maß zu verbrauchen und den Status quo weiterzuleben.
Eines von vielen Problemen ist die Verfügbarkeit von landwirtschaftlich nutzbaren Flächen: Wir haben einfach zu wenig davon. Große Teile des Bevölkerungswachstums dürften in Afrika sowie Süd- und Ostasien stattfinden. Damit werden unsichere Lebensmittel und der Zugang zu gesunden und nahrhaften Nahrungsmitteln zu wachsenden Problemen. Das gilt auch für den anhaltenden Niedergang der Artenvielfalt als Folge einer Übernutzung von Wasser, Land und Agrarchemikalien.
Neuartige Lebensmitteltechnologien könnten eine mögliche Lösung für diese Probleme darstellen. Sie umfassen eine ganze Reihe an Technologien zur Gewinnung alternativer Proteine. Im vorliegenden Artikel gehen wir allerdings in erster Linie auf zwei Arten der Fermentierung ein: Die Biomasse-Fermentierung, bei der nährstoffreiche Ersatzprodukte für herkömmliche Proteine geschaffen werden, setzt auf Mikroorganismen wie Pilze als direkte Proteinquelle. Bei der Präzisionsfermentierung werden dagegen Mikroorganismen als Zellfabriken eingesetzt, um andere funktionale Zutaten zu schaffen.
Beide Verfahren ermöglichen die Herstellung alternativer Proteine und weisen gegenüber der aktuellen landwirtschaftlichen Praxis erhebliche Vorteile auf. Dazu gehört vorrangig der sehr viel geringere Flächenbedarf.3 Gegenüber konventionellen Proteinen müssen bei alternativen Proteinen weniger Ressourcen investiert werden, um äquivalente Menge an Nährstoffen und Kalorien zu erhalten. Das bedeutet einen geringeren Verbrauch von Energie und anderen natürlichen Ressourcen in der gesamten Produktionskette.3 Doch bei jeder Technologie müssen bestimmte Überlegungen bezüglich Klimabelastung und Massenfertigung angestellt werden.
Zu Nachhaltigkeit der Biomasse-Fermentierung sagt Lilly Li, Sustainability Manager bei Tetra Pak: „Die Lebensmittel- und Getränkebranche befindet sich erst am Anfang der Lernkurve. Abhängig vom Produkt sehen die Folgen für Wasser-, Land- und Energienutzung sowie Abfallaufkommen anders aus.“
Mycoproteine (Pilzprotein-Biomasse) sind momentan bei der Herstellung vegetarischer und veganer Fleischersatzstoffe die Favoriten für die Biomasse-Fermentierung. Erste Studien deuten an, dass sich der Ersatz von Rindfleisch in der weltweiten Ernährung durch solche Pilzproteine drastisch auf Entwaldung und CO2 auswirken könnte.
Quelle: Humpenöder, F. et al. Nature 605, 90–96 (2022)
Ebenso zeigt eine Lebenszyklusanalyse der Umweltfolgen durch Pilzprotein, in der die Kohlenstoff-, Wasser- und Landnutzungsbilanzen der einzelnen Proteinprodukte berücksichtigt wurden, gegenüber vergleichbaren Produkten (pflanzlichen und tierischen Proteinen für den menschlichen Verzehr) ähnlich aussichtsreiche Ergebnisse.
Der wohl größte Vorteil entsteht bei der Landnutzung. Wie die folgende Abbildung zeigt, wird für herkömmlich hergestellte Lebensmittel wie Rinderhack, Schweinefleisch und Hähnchenbrust sehr viel mehr Platz benötigt, um das Proteinäquivalent der Pilzproteinproduktion herzustellen. Letzteres ist 80 Mal effizienter als schwedisches Rinderhack.5
Quellen: Quorn Carbon-Trust-Comparison-Report-2022.pdf; Quorn Sustainability-Report-2022.pdf, Mycorenaimpact report 2022; J Hadi, G Brightwell-Foods, 2021
Pilzprotein benötigt außerdem weniger Wasser (Liter pro Kilogramm pro fertiges Proteinprodukt; l/kg). Bei einem führenden Hersteller von Pilzprotein sind es lediglich 31 l/kg: Das ist 62 % effizienter als Tofu, 71 % effizienter als Sojabohnen und 84 % effizienter als schwedisches Rinderhack.6
Quellen: Quorn Carbon-Trust-Comparison-Report-2022.pdf; Quorn Sustainability-Report-2022.pdf, Mycorenaimpact report 2022; J Hadi, G Brightwell-Foods, 2021
Insgesamt bedeutet dies, dass die Gesamtkohlenstoffbilanz (also sämtliche Treibhausgase, die bei den verschiedenen Prozessen für die Herstellung des endgültigen Proteinprodukts anfallen, kurz Cradle-to-Processing-Gate) bei Pilzprotein erheblich geringer ausfällt. Bei einem führenden Hersteller von Pilzproteinen sind es gerade einmal 0,79 kg CO2e/kg. Das entspricht einer Reduzierung von 82 % im Vergleich Hähnchenbrust, 92 % gegenüber Schweinefleisch und 98 % gegenüber schwedischem Rinderhack.7
Quellen: Quorn Carbon-Trust-Comparison-Report-2022.pdf; Quorn Sustainability-Report-2022.pdf, Mycorenaimpact report 2022; J Hadi, G Brightwell-Foods, 2021
Laut Ashish Acharya, Food Technology Manager bei Tetra Pak, gibt es zwei herausragende Varianten der Präzisionsfermentierung, die getrennt voneinander betrachtet werden müssen. Einerseits die Nutzung für Biomaterialien und die Biopharmabranche und andererseits die Nutzung zur Schaffung neuartiger Lebensmittelkomponenten. „Die Präzisionsfermentierung ist keine neue Erfindung. Sie wird schon viele Jahre und zum Teil gar Jahrzehnte für die Herstellung oder Ernte seltener oder komplexer Komponenten verwendet, die auf natürliche Weise gar nicht oder nur durch den Einsatz einer gewaltigen Ressourcenmenge hergestellt werden können“, erklärt er. Beispiele sind viele unterschiedliche Lebensmittelzutaten und Nährstoffprodukte wie Chymosin. Chymosin ist ein Schlüsselbestandteil von Lab, das in der Käseherstellung verwendet wird. Auch Oligosaccharide, die in der Muttermilch vorkommen und ein wichtiger Bestandteil von Säuglingsnahrung sind, gehören dazu.
„Bei einigen Fermentierungsprozessen werden sehr viel Wasser und Energie benötigt. Einige Produkte wie Oligosaccharide lassen sich nicht auf natürliche Weise in großen Mengen herstellen. Natürlich können wir Wärme wiederverwenden, Abwässer klären und andere moderne Technologien einsetzen, um den Prozess effizienter zu gestalten, aber derzeit gibt es keine andere Art der Produktion für diese Bestandteile.“
Doch die Präzisionsfermentierung wird immer wichtiger, und zwar auch im Hinblick auf das Thema Nachhaltigkeit bei der Produktion von Milch und tierischen Proteinen. „Wenn man sich mit den wachsenden Auswirkungen industrieller Landwirtschaftspraktiken bei Entwaldung oder Treibhausgasemissionen befasst, stellt man fest, dass die Präzisionsfermentierung zur Bewältigung einiger dieser Probleme beitragen kann“, sagt Acharya. „Nehmen wir zum Beispiel Milchproteine: Wenn wir die Präzisionsfermentierung weiterentwickeln, werden wir in der Zukunft weniger Kühe benötigen. Damit sind auch weniger Land und Wasser für die Tiere sowie weniger Futter und Ackerflächen zum Anbau des Futters erforderlich. Gleichzeitig kann der Methangasausstoß aus der Viehhaltung gesenkt werden. Dieses Treibhausgas ist 25 Mal schädlicher als CO2.“8
Bei Rindfleisch sieht es ähnlich aus. Laut Acharya hat dieses Produkt „die wohl größten schädlichen Auswirkungen auf das Klima“9. Bei anderen tierischen Proteinen gilt dasselbe. Mithilfe der Biomasse- und Präzisionsfermentierung im großen Stil könnten wir die wesentlichen Aspekte für die Klimafolgen der Produktionskette deutlich reduzieren: Entwaldung, Trinkwasser für die Tiere, Weideland und Anbauflächen für das Viehfutter.
Auch bei der Biomasse- und Präzisionsfermentierung entstehen Abfälle und Nebenprodukte. Diese müssen bei der Bewertung der Gesamtklimafolgen der Prozesse berücksichtigt werden. Acharya erklärt: „Bei beiden Verfahren entsteht eine Menge Gas. Es handelt sich größtenteils um CO2, aber je nach Produkt, Fermentierungverfahren und Mikroorganismen fallen auch andere Gase an.“ Mit Fortschritten auf dem Gebiet der Biotechnologie können diese Gase zukünftig möglicherweise gereinigt oder als Kohlenstoffquelle zurückgeleitet werden. Auf diesem Gebiet wird aktuell viel geforscht.10
Es stellt sich auch die Frage, was mit den verbrauchten Mikroorganismen geschehen soll. Bei der Präzisionsfermentierung wird das Genom der Mikroben verändert. Für diese gelten also die strengen Auflagen für gentechnische Abfälle.
„Aktuell wird eine GMO-Kill genannte Technik verwendet“, berichtet Acharya. „Man gibt konzentrierte Natronlauge hinzu und erhöht den pH-Wert auf mehr als 11. Dadurch wird die gesamte DNS neutralisiert, denaturiert und defragmentiert.“ Je nach GMO-Containment-Level wird der Abfall anders behandelt. Das Ziel ist in allen Fällen identisch: Es darf kein aktives genetisches Material in die Umwelt gelangen.11
„Bei gentechnisch modifizierten Organismen (GMO) mit niedrigem Containment-Level reicht eine chemische Desinfektion bzw. Wärmebehandlung aus, um diese abzutöten“, erklärt Christina Schornack, Equipment Safety Specialist bei Tetra Pak. „Das Containment-Level, also die Schutzstufe, gibt die Handhabungsanweisungen vor.12 Es geht darum, die Personen, die mit den Pathogenen arbeiten, die Gesellschaft als solche und die Umwelt zu schützen. Das gilt besonders für die Abfallentsorgung oder Aufbereitung.“
Lilly Li ergänzt: „Für GMO-Abfälle muss eine komplette Lebenszyklusanalyse erstellt werden, die auf die möglichen Toxizitätsrisiken für Ökosysteme und Menschen eingeht.“ Auch ein Recycling oder eine Wiederverwertung der Abfallströme wird untersucht, sagt Li. Das gelte ganz besonders bei der Biomasse-Fermentierung. „Die Möglichkeit einer Wiederverwendung und einer Rückgewinnung großer Wassermengen aus den Abfallströmen der Biomasse-Fermentierung ist ein wichtiges Thema“, sagt sie. „Wir erwarten in den nächsten Jahren neue Resultate aus Forschung und Entwicklung hinsichtlich der zirkulären Konzepte, die in das Prozessdesign eingebunden werden können.“
Bisher sind nur sehr begrenzte Daten zum direkten Vergleich von klassisch hergestellten Produkten mit Produkten verfügbar, die aus der Präzisionsfermentierung gewonnene Proteine enthalten. „Diese Art der Zutatenproduktion steckt noch in den Kinderschuhen, aber sie macht rasche Fortschritte“, sagt Acharya. „Es gibt bereits Lebenszyklusanalysen zum Prozess für die Herstellung einzelner Bestandteile wie Milchprotein. Doch das ist nur ein Baustein im Endprodukt. Es gibt ein ganzes Spektrum an Milchbestandteilen, die mittels Präzisionsfermentierung hergestellt werden.“
Doch für Acharya liegt das Potenzial der Präzisionsfermentierung (und der Biomasse-Fermentierung) auf der Hand: „Die Möglichkeiten sind gewaltig, vor allem im Hinblick auf Functional Foods. Damit lassen sich beim Nährwert überragende Proteine herstellen und Protein-Allergien vermeiden“, sagt er. „Wenn wir uns die gegenwärtige Ausbeute der relevanten Komponentenproteine pro Zeit und Masse ansehen, dann werden wir innerhalb der nächsten etwa fünf Jahre in der Lage sein, die Effizienz der Fermentierung und somit auch die Ausbeute um den Faktor 5 oder 6 zu erhöhen. Das wird praktisch den Startschuss für die Massenproduktion darstellen. Das wird wirklich die Wende bringen.“
Fußnoten: